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Tom Levold Wahlkampf 2009
Beobachtung der Beobachter


Tom Levold
Dipl.-Sozialwissenschaftler, Lehrender Supervisor und Lehrender Coach (SG)

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tom.levold@charismakurve.de


15.09.2009
Duell ohne Schrammen


Nun liegt das sogenannte TV-Duell der Spitzenkandidaten hinter uns. Hat es etwas an neuen Erkenntnissen gebracht? Wohl kaum. Die mehr als bescheidenen Erwartungen sind bestätigt worden. Anstatt Positionen gegeneinander zu beziehen und aneinander zu schärfen, haben sich die Kandidaten darauf konzentriert, möglichst telegen alles zu vermeiden, was ihnen als abträglich hätte ausgelegt werden können. Dass sie das glatt über den Parcours brachten, spricht für die gute Vorbereitung und das Medien-Coaching im Hintergrund. Das war freilich absehbar. Dennoch mochte niemand von der Veranstaltung absehen. Das wäre mal spannend gewesen: das TV-Duell wegen absehbarer Eintönigkeit und Langeweile abzusagen.

Und wieso überhaupt „Duell“? Taugt diese Bezeichnung für einen Zweikampf mit tödlichen Waffen, der von den Kontrahenten vereinbart wird, um eine Ehrenstreitigkeit auszutragen, in irgendeiner Weise als Metapher für die politische Auseinandersetzung vor der Bundestagswahl? Schließlich handelt es sich hierbei um ein abgrundtief vordemokratisches Ritual: Wikipedia zufolge war „das Duellwesen (…) immer auch Ausdruck eines elitären Standesdenkens, das sich nach ‚unten‘ dadurch abzugrenzen versuchte, dass man allein den Angehörigen der ‚höheren Gesellschaftskreise‘ das dazu erforderliche ‚feinere Ehrgefühl‘ zuschrieb.“

Immerhin ging es bei der eigenen Ehre um soviel, dass man bereit war, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen. „Ein mißlungener Selbstmord ist genauso lächerlich wie ein Duell ohne Schramme“, schrieb der Experte Honoré de Balzac. Dieser existenzielle Schauer machte das Duell zu einem klassischen Topos unseres kulturellen Bilder- und Geschichtenvorrates.

Mit der Inszenierung des Wahlkampfes als „Duell“ der Spitzenkandidaten, die gleichzeitig postmodern-ironisch ihre eigene Inszeniertheit in Szene setzt, versucht sich die politisch-mediale Elite (die „höheren Gesellschaftskreise“ von heute) parasitär dieses Topos zu bedienen, ohne freilich wirklich ein Risiko eingehen zu wollen. Politische Risiken bestehen z.B. in der Einnahme einer Position, die von der Mehrheit nicht geteilt wird, oder in einer argumentativen Auseinandersetzung, in der man der anderen Seite inhaltlich oder rhetorisch nicht gewachsen ist. Es geht also darum, diese Risiken zu vermeiden und gleichzeitig Kämpferqualitäten zu beweisen. Wer nichts sagt, sagt auch nichts Falsches. Allerdings muss er dabei ausreichende Kontrolle der Mimik und Körperhaltung beweisen, darf nicht stottern oder erröten und muss die Hände an der richtigen Stelle halten, damit es keinen Abzug in der B-Note gibt.

Der Politikwissenschaftler Colin Crouch sieht in diesen Phänomenen eine schleichende Verrottung der Demokratie (an der alle als Konsumenten wie als Produzenten mitwirken). Das Ergebnis bezeichnet er als „Postdemokratie“, „ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden [...], in dem allerdings konkurrierender Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, daß sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben“ („Postdemokratie“, Suhrkamp 2008, S. 10).

Diese Diagnose darf man übernehmen. Vor diesem Hintergrund ist das Gerede um ein Duell also eigentlich nur ein Fake. Verschärfend kommt hinzu, dass wir uns in unserem politischen System nicht wie in den USA zwischen zwei Kandidaten, sondern zwischen einer Vielzahl von Parteien entscheiden müssen. Und wenn man den Begriff des Duells schon von der Ebene personaler Ehrenhaftigkeit auf die Auseinandersetzung zwischen Parteien verschieben will, wäre dies nur gerechtfertigt, wenn man zumindest Regierung und Opposition in einen Schlagabtausch zwingen würde, anstatt Frau Merkel und Herrn Steinmeier als Vertretern einer gemeinsamen Politik Unterschiede in den Details abzuringen. Aber das wäre wiederum mit dem Risiko einer Positionierung verbunden, das offenbar sowohl die Kandidaten als auch die Programmgestalter gerne unter Kontrolle bringen wollten.

Ganz lachhaft aber ist es, ein Befragungssetting als Duell zu bezeichnen, in dem die Duellanten nicht einmal das Wort aneinander richten dürfen, sondern von vier Interviewern befragt und dabei auch noch laufend unterbrochen werden. Vielleicht wäre es aufschlussreicher gewesen, Merkel und Steinmeier einfach 90 Minuten miteinander reden zu lassen, unter Beisein eines Schiedsrichters, der Schläge unter die Gürtellinie abgepfiffen hätte.

So etwas hat es übrigens zur Genüge gegeben, bevor das Fernsehen die Kultur der politischen Auseinandersetzung ruiniert hat. So gab es z.B. 1858 in den USA sieben öffentliche Debatten der Präsidentschaftskandidaten Abraham Lincoln und Stephen Douglas, in denen es nur um eine einzige Frage ging, nämlich um Zukunft der Sklaverei. Dabei durfte einer der Kandidaten in 60 Minuten seine Positionen darlegen, worauf eine 90-minütige Antwort und eine 30-minütige Zusammenfassung folgten. Drei Stunden Zeit zum Zuhören und zum Nachdenken. Das müsste sich heute mal einer trauen.




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