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Dr. Simone Pika Wahlkampf 2009
Perspektiven einer Verhaltenforscherin


Dr. Simone Pika
Primatenforscherin

www.primate-gesture-center.eu
www.psych-sci.manchester.ac.uk/
staff/SimonePika

bei Fragen oder Kommentaren,
melden Sie sich bitte bei mir direkt:
simone.pika@charismakurve.de


Merkel oder Steinmeier?
Wer beherscht das Spiel der öffentlichen und
parteilichen "Fell-Pflege" besser?
Einblicke einer Verhaltensforscherin


Dr. Simone Pika ist vergleichende Verhaltensforscherin an der Universität von Manchester in Großbritannien und ihr Forschungsschwerpunkt zentriert sich auf non-vokale Fähigkeiten von Menschen, nicht menschlichen Primaten und Corviden.

Eines ihrer wichtigsten Forschungsgebiete, 'Ngogo', liegt im Kibale National Park in Uganda, und beinhaltet die grösste, bisher habituierte Schimpansengruppe. Der Regent der Gruppe ist Bartok, ein circa 30 Jahre altes Männchen, welches die Gruppe seit über acht Jahren souverän leitet (http://www.politik-poker.de/charisma.php). Bartok ist kleiner als manch andere erwachsene Männchen, und seine bisher unangefochtene Führungsposition ist folglich nicht auf körperliche Dominanz sondern auf seine hohe Intelligenz zurückzuführen. Er verfügt über ein sehr gutes soziales Netzwerk und starke Allianzpartner, die ihm getreu zur Seite stehen.

Machtgefüge in unseren nächsten lebenden Verwandten, den Schimpansen, funktionieren folglich ähnlich wie in unserer Parteienlandschaft: Loyale Bündnispartner sind das A und O und der Regent muss diese Bündnisse hüten und pflegen. Die Währung der Schimpansen besteht aus taktilen Aufmerksamkeiten, dem sogenannten "Lausen", während menschliche Bündnis- und Bindungspflege mannigfaltige Formen angenommen haben...

In dem diesjährigen Walhkampf stellt sich folglich aus dem Blickwinkel einer vergleichenden Verhaltensforscherin die Frage: Merkel oder Steinmeier? Wer beherrscht das Spiel der öffentlichen und parteilichen "Fellpflege" besser?
Die "alte" Regentin oder der "neue" Herausforderer?


21.09.2009
Elefant, Foto: Patrick Brandt
Foto: Patrick Brandt

Verzicht der Elefantenrunde
Der Begriff der "Elefantenrunde" wurde in den sechziger Jahren geprägt und bezeichnet Fernsehdebatten, an der in der Regel die Chefs der im Parlament vertretenen politischen Parteien teilnehmen. Obwohl Machtbesitz und -position generell auch positiv mit Gewichtszunahme und Übergewicht korrelieren, bezieht sich die Metapher auf die symbolische "Gewichtigkeit" der teilnehmenden Personen und die Bedeutsamkeit des Gesprächsanlasses.
Neben anatomischen Besonderheiten wie der feinfühligen, verlängerten Nase -aus ca. 40.000 zu Bündeln verflochtenen Muskeln bestehend -, den gigantischen Stoßzähnen, Kommunikation durch Infraschall-Laute¹, und einem bei Säugetieren einzigartigem von Bindegewebe statt von Flüssigkeit ausgekleidetem Pleuraspalt², sind Elefanten auch für ihre "Weisheit" bekannt. In Anekdoten wird zum Beispiel von Elefantenkühen erzählt, die ihre Herden in Zeiten extremster Trockenheit zu Wasserlöchern führten, die sie selbst das letzte Mal in ihrer Kindheit besuchten. Im Gegensatz zu den vorwiegen von Männchen dominierten Sozialsystemen anderer Säuger werden Elefantenherden nämlich von älteren, erfahrenen Weibchen geleitet, die für das Überleben der Gruppe von größter Bedeutung sind.
Die ersatzlos gestrichene Elefantenrunde so kurz vor der Wahl hätte unserer Matriarchin somit die Möglichkeit gegeben, ihre Weisheit im Bezug auf die momentane Trockenperiode unter Beweis zu stellen und den Gegenkandidaten "jung" aussehen zu lassen. Aber vielleicht besteht gerade darin ihre Weisheit: Zu wissen, welche Auftritte im Sande verlaufen oder den gesteckten Zielen sogar eher Schaden als Glorie verleihen.

¹Weitere Informationen zum Schutz von Elefanten und zur Elefantenkommunikation finden Sie unter:
http://www.elephantvoices.org/studies-a-projects/elephant-communication-a-cognition.html.

²Diese Besonderheit ermöglicht es Elefanten beispielsweise, einen Fluss zu durchqueren und parallel mit ihrem Rüssel zu "schnorcheln". Da sich ihr Körper, und damit insbesondere die Lunge, hierbei bis zu zwei Meter unter Wasser befinden können, entsteht eine Druckdifferenz, die bei jedem anderen Säugetier (mit "Flüssigkeit gefülltem" Pleuraspalt) zur Kollabierung der Lunge und somit zum Tod führen würde.


04.09.2009


Splittergruppen
"Die Zeit der Fülle ist plötzlich vorbei und der Wald erscheint wie ausgestorben. Vor ein paar Tagen war es noch ein leichtes, die Schimpansen im ugandischen Regenwald aufzuspüren, und ihnen den ganzen Tag in respektvollem Abstand zu folgen. Man musste nur einen der gigantischen mit saftigen, gelben Feigen bestückten, Mucusobäume aufsuchen, dessen Fruchtpracht Auge und Nase schon von weitem mit Farbenfülle und Früchteduft anlockte. Auf den ersten Blick erschien so ein Baum nur spärlich besetzt, doch nach und nach gewöhnte sich das Auge an die Schatten, Muster und Bewegungen und erkannte immer mehr genussvoll kauende, schmatzende, bis zum Bersten mit Feigen gefüllte Schimpansenmünder. Neuankömmlinge signalisieren ihre Ankunft mit beeindruckenden pant-hoots oder erwartungsvollen Futtergrunzern und erhaschen sich dann ein Plätzchen im dicht besetzten Baum. Alle Zwistigkeiten sind vergessen und obwohl die besten Plätze von den ranghöchsten Individuen besetzt sind, ist doch Platz und Frucht für jeden, Freund oder Feind.

Doch heute herrscht Stille. Die Feigenpracht hat sich erschöpft und statt sich bequem den Bauch in einem einzigen Futterbaum vollzuschlagen, müssen die Menschenaffen ihren Energiebedarf nun durch eine Kombination mehrerer Futterpflanzen und Früchte decken und weitere Wege zurücklegen. Statt Ansammlungen von bis zu dreißig Tieren, findet man plötzlich kleine Splittergruppen, die sich in distinkten Arealen des Territoriums bewegen und anderen Gruppen ausweichen, um Futterwettbewerb zu vermeiden. War der Wald vor Tagen noch erfüllt von Rufen aller erdenklichen Nuancen und Variationen, hat sich der Kommunikationsbedarf der meisten Tiere bis auf weiteres eingestellt.

Die soziale Dynamik dieser Kleingruppen wird, wie auch die gesamte Gruppe, von Dominanzstrukturen beeinflusst, und beta- und auch gamma-Männchen erproben ihr Machtpotential in ihren Mini-königreichen. Ob diese Art von Schaulaufen und die vermehrt an Größenwahn und Selbstüberschätzung erinnernden Inszenierungen vor begrenzter Zuschauerschaft allerdings Einfluss auf Machtverschiebungen des derzeitigen Regenten haben, ist eine gänzlich andere Frage."


26.08.2009


Zeit der Halluzinationen
Eine besondere Eigenschaft menschlicher Sprache und menschlicher Kognition ist, dass wir uns in unseren Gesprächen und Gedanken vorwiegend im Gestern und im Morgen bewegen. Kleiner Test: Sie sitzen mit ihren Freunden beim Abendessen und unterhalten sich. Worüber? Sicherlich auch kurz über den Genuss des Essens, die Kochkünste des Gastgebers, die funkelnden Weingläser, das frisch angezapfte Bier, oder das momentane Wetter. Insgesamt die ganz reizende Atmosphäre des Jetzt, des Heute, das vor ihren Augen, Nasen und Ohren liegt. Doch schnell wird sich das Gespräch zu anderen Horizonten ausdehnen, und sich einem der menschlichen Lieblingsbeschäftigungen zuwenden, dem Geschichtenerzählens (obwohl vielleicht fing das bereits mit dem Loben der Kochkünste an?). Diese Geschichten entziehen uns der Gegenwart und führen uns zu Personen, Dingen, oder Ereignissen, die bereits vergangen sind und doch die Gegenwart und Zukunft mit Fäden unterschiedlichen Materials und Sichtbarkeitsstufen durchziehen. Diese Geschichten sind auch im momentanen Schaulaufen zu beobachten, erreichen allerdings noch mal eine ganz andere Dimension im Spiel der auf Hochglanz polierten Gedankenblasen und Halluzinationen, wenn es sich um Dinge in der Zukunft dreht; Dinge die sich unter neuen Machtstrukturen verändern, ganz neu und total anders angegangen werden sollen.

Ganz anders dagegen die nicht-menschlichen Primaten, deren Leben und Handeln sich ständig im Hier und Jetzt befindet. Ob ein Schimpanse träumen kann? Vom Hier und Heute, oder von rivalisierenden Gruppen, Machtübernahmen, großartigen Taten oder östrischen Weibchen, die ihm morgen über den Weg laufen? Vielleicht. Ob er diese Träume und Halluzinationen jedoch seinen Freunden oder Rivalen mitteilt, ist basierend auf dem heutigen Stand der Forschung, eher unwahrscheinlich.


20.08.2009
Dolphi

Zeit des Imponierens
Die Zeit des Aufblähens, Imponierens hat begonnen und jeder tut es auf seine eigene Art und Weise. Der eine¹ bewegt seinen Körper und Hände im wilden Gestentanz, der andere ist eher subtil, wortgewandt und versucht die Kooperationspartner, die Gegner und vor allem die Wähler mit Wahrheiten und kompakten Lösungen zu beeindrucken. Wieder ein anderer beschäftigt sich vor allem damit, den Auftritt des Kontrahenten zu übertrumpfen und dessen Wahlkampfgebäude an unsichtbaren und sichtbaren Stellen mit zarter Feile oder Kettensäge zu demontieren.

Parallelen zu unseren nächsten lebenden Verwandten, den Schimpansen, drängen sich regelrecht auf, bei denen die gigantischsten, lärmbetörendsten Imponierveranstaltungen, wie auch bei uns Menschen, vorwiegend von den Männchen übernommen werden². Meist besteht die Zuschauerschar aus Kontrahenten der eigenen Gruppe, oder erwachsenen Weibchen, die sich der Gruppe zu lange ferngehalten haben. Beste Auftritte werden damit erzielt in eine friedlich ruhende Gruppe hineinzurennen, und den Lauf durch wildes Bäumeschütteln, Brettwurzeltrommeln und eine Vokalisation, das sogenannte pant-hooting, zu begleiten, welches kilometerweit durch den Wald trägt. Das Fell des Akteurs ist maximal aufgestellt und verwandelt nun auch den kleinsten und schmächtigsten Imponierer in eine wilde und gefährliche Kreatur. Die Frequenz von Imponierveranstaltungen nimmt in Zeiten des Wandels und der Dominanzverschiebungen zu, während gefestigte Regenten seltener auf dieses Mittel zurückgreifen. Wie auch bei uns Menschen gibt es individuelle Unterschiede in der Wirkung, der Lautstärke und den eingesetzten Mitteln von Imponierveranstaltungen bei Schimpansen. Eines der wohl bekanntesten Beispiele stammt von Jane Goodall (1986): Sie beobachtete, dass der Schimpansenmann Mike Blechkanister der Forschungsstation verwendete, um sie während seiner Imponierveranstaltung geräuschvoll zusammenzuschlagen. Diese Methode verhalf ihm, seine Machtposition zu verstärken und zum Regenten der Gruppe aufzusteigen.

¹Im Folgenden wird aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung nur die männliche Form verwendet. Es sind jedoch stets Personen männlichen und weiblichen Geschlechtes gleichermaßen gemeint.
²Allerdings gibt es Beobachtungen, dass Weibchen der Taï-community an der Elfenbeinküste Imponierveranstaltungen bei Interaktionen mit anderen rivalisierenden Schimpansengruppen aufführen (Boesch & Boesch-Achermann, 2000).