Körpersprache beim TV-Duell

"Bulldogge und Königspudel"

SPIEGEL ONLINE - 26. August 2002, 12:29

Der Psychotherapeut und Unternehmensberater Ulrich Sollmann analysiert im Interview mit SPIEGEL ONLINE das Spitzenduell zwischen dem Kanzler und seinem Herausforderer. Das enge Korsett des TV-Duells, so sein Fazit, habe die Eigenheiten von Gerhard Schröder und Edmund Stoiber letztlich nicht verdecken können.

SPIEGEL ONLINE: Herr Sollmann, als Experte für Körpersprache müssen Sie sich am Sonntagabend doch gewaltig gelangweilt haben?

Ulrich Sollmann: Nein, überhaupt nicht.

SPIEGEL ONLINE: Aber schien es nicht, als ob Gerhard Schröder wie auch Edmund Stoiber Körpersprache vermeiden wollten?

Sollmann: Das geht gar nicht - denn ohne Körpersprache kann man gar nicht kommunizieren. Nein, beide waren durch diese besondere Situation - dem ersten Fernsehduell zweier Spitzenkandidaten in Deutschland - unter enormem Stress. Und unter Stress greift man unbewusst auf Reaktions- und Verhaltensmuster zurück, die lebensgeschichtlich erworben wurden.

SPIEGEL ONLINE: Was haben Sie den Kandidaten abgelesen? Fangen wir mit dem Kanzler an.

Sollmann: In den ersten Sekunden wirkte Schröder ernst, finster, gebremst. Gar nicht souverän lächelnd, jovial wie ein Macher.

SPIEGEL ONLINE: Und Stoiber?

Sollmann: Er lächelte zunächst, aber relativ schnell merkte man, dass das antrainiert war und bald wieder ausgeknipst wurde.

SPIEGEL ONLINE: Also zeigten beide hohe Stresssymptome?

Sollmann: Auf jeden Fall. Schröder schien anfangs von seiner Energie verlassen worden zu sein, Stoiber hingegen wirkte als einer, der nach einer inneren Vorgabe handeln und erscheinen wollte.

SPIEGEL ONLINE: Aber schien es nicht, als seien beide Kandidaten gar nicht gemeinsam im Studio?

Sollmann: Das sehe ich anders. Stoiber war nicht in der Lage, sich auf Schröder einzulassen, mit ihm in Blickkontakt zu treten. Er hatte diese gebremst aggressive Kopfbewegung - er wirft den Kopf leicht nach rechts hinten, als wollte er ausholen und seinen Satz loszulassen. Schröder hingegen nahm nach rund 25 Minuten den ersten Augenkontakt zu Stoiber auf, wurde daraufhin freier und gelöster. Das war ein Zeichen von Souveränität und Lockerheit, von Führungskompetenz. Dazu gehört auch, sich im geeigneten Augenblick zurücknehmen zu können.

SPIEGEL ONLINE: Also hatte sich Schröder besser im Griff?

Sollmann: Als der Kanzler voreilig auf Stoiber antworten und von einem der beiden Moderatoren unterbrochen wurde, hat er sich sofort gebremst. Das war kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke. Moderne Führungskompetenz zeigt sich auch darin, dass man flexibel auf Situationen reagiert. Stoiber hat in manchen Situationen die völlig falschen Signale gesendet - wenn er über ernste Dinge sprach, lächelte er - das wirkt auf viele Menschen unangemessen.

SPIEGEL ONLINE: Immer wieder haben beide den Blickkontakt ja gesucht.

Sollmann: Richtig - nur gab es zwischen beiden einen elementaren Unterschied - Schröder verstand es, den Blickkontakt auch zu halten, während Stoiber nur für eine Sekunde hinüber sah und ansonsten seine Vorwürfe gegen Schröder über den Umweg der Moderatoren zu transportieren versuchte - eine absurde Situation.

SPIEGEL ONLINE: Was sagt Ihnen das ?

Sollmann: Dass Stoiber unter Stress gar nicht Kontakt mit seinem Gegenüber aufnehmen kann. Er hat dann nach einiger Zeit sich auch auf das Moralisieren verlegt, von Wahr und Unwahr gesprochen und sich selbst zum Schiedsrichter erhoben. Das ist kein Zeichen von Führungsstärke. Schröder dagegen hat davon gesprochen, was "falsch" gelaufen ist, auch in seiner eigenen Politik, und sich zugleich auf eine sachliche Ebene zurückgezogen - rhetorisch fand ich das brillant. Dagegen hat Stoiber immer stärker gedroht, den Wahltag zum Stichtag erhoben. Doch damit hat er sich aus der Diskursebene, die an diesem Abend ja hergestellt werden sollte, herausgehoben.

SPIEGEL ONLINE: Aber wirkte Schröder nicht zahnlos?

Sollmann: Er wirkte zu gebremst, als würde er nur 60 Prozent von dem geben, was er eigentlich kann.

SPIEGEL ONLINE: Oder will der Durchschnittszuschauer in Deutschland gerade diese gebremsten Kandidaten?

Sollmann: Ich glaube, die Zuschauer haben die subtile Form der Arroganz von Stoiber wahrgenommen, seine Distanziertheit. Seine Körpersprache war im Gegensatz zu der von Schröder doch sehr gehemmt, eingeschränkt. Während Schröder mal die Hand offen hielt, vom Pult wegnahm, hat Stoiber sich am Pult festgehalten und wenn er die Hand mal hochhielt, nahm er sie höchstens zehn Zentimeter hoch, spreizte sie und führte sie sofort zum Pult zurück. Das war wie ein Impuls: Es kochte in ihm hoch und sogleich funktionierte seine innere Kontrolle.

SPIEGEL ONLINE: Waren nicht letzlich beide Kandidaten durch das enge Korsett der Sendung gehandicapt?

Sollmann: Sie wussten, auf was sie sich einließen. Zudem kann auch das engste Korsett nicht die Eigenheiten eines Menschen völlig verdecken, schon gar nicht, wenn eine Sendung unter einem so hohen Aufmerksamkeitsgrad fast 90 Minuten dauert. Ich sage es mal ein wenig salopp - auch an der Leine bleibt eine Bulldogge eine Bulldogge und ein Königspudel ein Königspudel.

SPIEGEL ONLINE: Jetzt steht noch ein Duell aus, mit den weiblichen Moderatorinnen Sabine Christiansen und Maybrit Illner. Verändert das die Körpersprache der beiden Männer?

Sollmann: Stoiber muss natürlich aufpassen, dass er in der Konfrontation mit Sabine Christiansen, in deren Sendung er ja vor einigen Monaten furchtbar gestottert hat, in eine Art Retraumatisierung fällt.

SPIEGEL ONLINE: Das meinen Sie doch nicht im Ernst?

Sollmann: Natürlich. In solchen Augenblicken können selbst bei Profis unbewusste Prozesse der Retraumatisierung beginnen.

SPIEGEL ONLINE: Was raten Sie dem Kandidaten der Union?

Sollmann: Ich würde Stoiber empfehlen, seinen Impulsen Raum zu lassen und auf jeden Fall mehr Kontakt zu seinem Gegenüber zu suchen. Sein Motto müsste demnächst lauten: Augenkontakt, Augenkontakt, Augenkontakt.

SPIEGEL ONLINE: Und Schröder? Er gilt ja als Frauentyp. Ist er damit nicht in Gefahr, die letzte Runde mit den Moderatorinnen zu lässig zu nehmen?

Sollmann: Er darf nicht zu sehr mit den Frauen flirten, sich gemein machen mit den Frauen. Denn wenn der Chef anfängt, mit den Frauen zu koalieren, dann verliert er in den Augen der meisten Männer seine Glaubwürdigkeit. Ich würde ihm empfehlen, aggressiver aufzutreten.

SPIEGEL ONLINE: Also den Macho-Schröder zu spielen?

Sollmann: (lacht). So würde ich das nicht sagen - das wäre eine Nuance zu viel. Er muss sich als Alphamännchen zeigen, als Führungsperson.

SPIEGEL ONLINE: Ist es nicht merkwürdig, dass in manchen Umfragen nach dem TV-Duell Stoiber dazu gewonnen hat, insbesondere was seine Kompetenz angeht?

Sollmann: Das finde ich gar nicht. Die Umfragen sind Momentaufnahmen, die sich vor einem realen Hintergrund abgespielt haben. Viele Zuschauer hatten vor der Sendung noch den desaströsen Auftritt Stoibers in der Sendung von Sabine Christiansen vor Augen. Gemessen an dem, hat sich der Kanzlerkandidat der Union in den Augen vieler verbessert - aber das ist noch lange kein Zeichen dafür, dass ihm wirklich Kompetenz zugesprochen wird. Viele werden sagen: Okay, er hat in den vergangenen Monaten an sich gearbeitet, er war fleißig. Der eigentlich souveräne Mann an diesem Abend aber war Schröder - nur müsste er beim nächsten Mal ein wenig agressiver, gelöster auftreten.

SPIEGEL ONLINE: Also diesmal ein leichter Punktgewinn für den Kanzler?

Sollmann: Ich würde es so sagen - Schröder hat gewonnen, aber nicht gesiegt. Das Zusammentreffen am Sonntag war ein Warm-up. Beim nächsten Duell geht es für beide nur um eines - um den Sieg.

Das Interview führte Severin Weiland

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